Drei Artikel über die Wöhler-Plakate zu Abi-Zeiten - drei unterschiedliche Blickwinkel, drei verschiedene Einschätzungen und mehr als drei geklärte bzw. auch offene Fragen.- Zunächst stellt Rainer Schulze (FAZ) drei Projekte vor. Die Links zu den beiden anderen Artikel:

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Der Brauch der Abi-Plakate muss irgendwann in den Neunzigerjahren entstanden sein. Damals tauchten zu Beginn der Abiturprüfungen vor den Gymnasien die ersten Sprüche auf. Sie wurden noch auf den Boden gesprüht und stammten von Schülern des vorherigen Jahrgangs, die ihre ehemaligen Mitschüler auf diese Weise anfeuerten. „Es entwickelte sich eine Gute-Wünsche-Kultur“, erzählt Martin Berthoud, der gemeinsam mit Stefan Jakob die Geschichte der Abi-Plakate erforscht.

 Von Rainer Schulze (FAZ)

 Bald wanderten Plakate und Bettlaken, die gut...

 

                   Bald wanderten Plakate und Bettlaken, die gut sichtbar vor den Schulen befestigt wurden. „Also von der Straße an den Zaun“, sagt Jakob. Zu Beginn des neuen Jahrtausends stiegen dann die Familien ein: Inzwischen werden die Plakate nur noch selten von Mitschülern gestaltet, sondern in der Regel von Eltern, Geschwistern und Großeltern. Heute bleibt fast kein Frankfurter Abiturient ohne Plakat. In diesem Jahr haben Berthoud und Jakob vor der Wöhlerschule 125 bis 130 Plakate gezählt, das entspricht der Anzahl der Abiturienten. Um einen guten Platz zu ergattern, müssen die Familien früh dran sein. Sie warten auf den Startschuss des Schulleiters, dann erst dürfen die Abi-Plakate befestigt werden. Wenn alle hängen, treffen sich die Schüler und ihre Familien vor dem Schulgelände und begutachten gemeinsam die Plakate, als würden sie durch eine Galerie flanieren. 
 „Es entwickelt sich langsam ein Brauch“, sagt Berthoud. In Hessen ist er schon relativ weit verbreitet. Aber außerhalb der Landesgrenze ist das Phänomen kaum bekannt. „Wir sind immer wieder darüber gestolpert, dass es das sonst nirgendwo gibt“, sagt Jakob, der im Dornbusch in der Nähe der Wöhlerschule wohnt. Gemeinsam mit Berthoud, der in Heddernheim lebt, will er diese Tradition erklären. Die Polytechnische Gesellschaft unterstützt sie dabei.

 

     Plakate stimmen Schüler auf Prüfung ein

Dass die Abi-Plakate ausgerechnet in Frankfurt so verbreitet sind, der Stadt des kritischen Diskurses, hält Jakob für folgerichtig: „Das ist ein Stück Frankfurter Schule aus Frankfurter Schulen.“ Im Unterschied zu anderen Regionen, wo mit einem originellen Abistreich die bestandene Prüfung gefeiert wird, stimmen die Plakate die Schüler auf die Prüfung ein. „Nach dem Motto: Bildung braucht Ermutigung“, meint Jakob.


Die beiden Männer haben ihre Recherche mit einem Blog im Internet dokumentiert. Sie haben Hunderte  Plakate fotografiert, mit Schülern, Lehrern und Eltern gesprochen und die Jahrbücher der Wöhlerschule durchforstet. Die Sammlung umfasst inzwischen mehr als 700 Aufnahmen aus rund 25 Jahren. Die meisten stammen von der Wöhlerschule. „Es gibt eine unglaubliche Vielfalt an Themen und Motiven“, schwärmt Jakob. Der Grundtenor, das ermutigende „Du schaffst das“, wird möglichst kreativ variiert. Mit der fortschreitenden Drucktechnik werden auch die Plakate immer professioneller gestaltet. Auch Bezüge zur Popkultur sind häufig, von Star Wars über die Simpsons bis zu Germanys Next Topmodel. Viele Plakate haben einen persönlichen Charakter. Die Familien spielen auf Hobbys und Vorlieben der Schüler an, möglichst ohne indiskret zu werden.

Berthoud und Jakob macht die Arbeit erkennbar große Freude. „Corona hat uns etwas ausgebremst. Aber die Polytechnische Gesellschaft hat uns bestens unterstützt“, berichtet Berthoud, der vor dem Ruhestand als Programmleiter bei einem Fernsehsender gearbeitet hat. Jakob, der früher Filme produziert hat, hat den Traum von einer Ausstellung noch nicht aufgegeben. Auf dem Schulfest der Wöhlerschule haben sie ihre Recherche schon präsentiert.

Auf den Spuren von Johanna Tesch

Bruni Marx beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Johanna Tesch. Die engagierte Sozialdemokratin aus Frankfurt war in der Weimarer Republik eine der ersten deutschen Parlamentarierinnen. Als Stadtteilhistorikerin der Stiftung Polytechnische Gesellschaft sucht Marx im Riederwald und an anderen Orten im Stadtgebiet nach Spuren der Familie. Das beeindruckende Ergebnis ist die 66 Seiten starke Broschüre „Leben und Wirken der Familie Tesch in Frankfurt“, die neben der Polytechnischen Gesellschaft auch der Verein für Frankfurter Arbeitergeschichte und das Nachbarschaftsbüro Riederwald mit unterstützt haben.

Ihre Quellen waren vor allem der Briefwechsel Johanna Teschs mit ihrem Mann Richard und ihrem Sohn Carl, aber auch das Institut für Stadtgeschichte und das Historische Museum unterstützten bei der Recherche. Marx sagt von sich, sie lebe „eigentlich schon immer“ im Riederwald. Durch die intensive Beschäftigung mit der Familie Tesch sieht sie den Stadtteil heute mit anderen Augen: „Es ist wichtig, die Geschichte seines Umfelds zu kennen, um Zusammenhänge zu verstehen.“ Durch die Erforschung des Lebenswegs einer Person, die in der Nachbarschaft wohnte, werde die Geschichte greifbar und weniger abstrakt.

Johanna und Richard Tesch mit den Söhnen Wilhelm, Carl und Friedrich im Jahr 1910




 

1911 zog die Familie Tesch in die frisch erbaute Arbeitersiedlung im Riederwald. Eine U-Bahnstation, ein Platz und eine Schule sind heute nach Johanna Tesch benannt. Auch an ihrem früheren Wohnhaus erinnert eine Gedenktafel an die Politikerin. 1944 wurde sie dort von der  


Gestapo abgeholt, im Klapperfeldgefängnis inhaftiert und schließlich nach Ravensbrück ins Konzentrationslager gebracht, wo Tesch im März 1945 an Hunger und Entkräftung starb.

Marx zeichnet in der Broschüre die Stationen auf dem Lebensweg der Familie nach, zeigt historische Fotos aus dem Riederwald, Häuser, Geschäfte, Gärten, immer ergänzt mit Zitaten aus dem Briefwechsel. Aber auch andere, zum Teil untergegangene Gebäude im Stadtgebiet, die im Leben der Familie ausweislich der Briefe eine wichtige Rolle spielten, hat sie abgebildet.


Marx ist keine Historikerin, sondern hat bis zu ihrem Ruhestand in der Verwaltung der Städtischen Bühnen gearbeitet. Sie hatte zwar schon immer eine Neigung, sich mit historischen Themen auseinanderzusetzen. Dennoch kamen ihr bei der Recherche auch Zweifel: „Genüge ich wissenschaftlichen Ansprüchen? Dilettiere ich? Mache ich das richtig?“ Doch von der professionellen Betreuung durch die Polytechnische Gesellschaft habe sie wahnsinnig profitiert. Auch der Austausch mit anderen Stipendiaten sei sehr inspirierend gewesen – auch wenn er wegen der Pandemie etwas zu kurz kam.

 Marx ist keine Historikerin, sondern hat bis zu ihrem Ruhestand in der Verwaltung der Städtischen Bühnen gearbeitet. Sie hatte zwar schon immer eine Neigung, sich mit historischen Themen auseinanderzusetzen. Dennoch kamen ihr bei der Recherche auch Zweifel: „Genüge ich wissenschaftlichen Ansprüchen? Dilettiere ich? Mache ich das richtig?“ Doch von der professionellen Betreuung durch die Polytechnische Gesellschaft habe sie wahnsinnig profitiert. Auch der Austausch mit anderen Stipendiaten sei sehr inspirierend gewesen – auch wenn er wegen der Pandemie etwas zu kurz kam.


Christian Heidrich ist eher zufällig zum Stadtteilhistoriker geworden. Als er vor zwei Jahren durch die Zeitung blätterte, stieß der Rechtsanwalt auf einen Aufruf, dass neue Teilnehmer für das Projekt der Stiftung Polytechnische Gesellschaft gesucht werden. Kurzentschlossen bewarb er sich mit einer Idee, die er schon lange in sich trägt: Er will mit einem Dokumentarfilm die Geschichte des Punkrock in Frankfurt erzählen. Heidrich war in den Achtzigerjahren selbst Teil der kleinen, aber lebendigen Frankfurter Punkszene und will festhalten, was sie in seiner Stadt bewegt hat. Die Hochburgen des Punk lagen in Deutschland zwar anderswo: In Düsseldorf, Berlin und Hamburg war die Bewegung viel größer. Aber auch in Frankfurt hat der Punkrock seine Spuren hinterlassen. e ersten Punkbands gründeten sich in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren. „Frankfurt war eine überschaubare Szene, aber sie war produktiv und kreativ“, erzählt Heidrich und nennt Frankfurter Punkbands wie Strassenjungs, Böhse Onkelz, Middle Class Fantasies, Persecuted Pharisees und Pullermann, die sich auch über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht haben. Heidrich will sich bei seinem Projekt aber nicht nur auf die frühe Phase konzentrieren, sondern die Entwicklung der Musikrichtung bis in die Gegenwart abbilden. Auch heute noch gibt es Punkbands in der Mainmetropole, aber die Subkultur ist im Stadtbild kaum mehr präsent.
Heidrich forschte für seinen Film nicht in den Archiven. Er hat eine eigene Sammlung an Zeitungsausschnitten, Fanzines, Fotos und Konzertaufnahmen zusammengetragen. Außerdem hat er Zeitgenossen interviewt an Orten, die für die Szene wichtig sind. Im besetzten Haus „die Au“ zum Beispiel und in Kneipen wie dem Feinstaub und dem New Backstage im Nordend. „Das sind wichtige Einrichtungen für eine Stadt wie Frankfurt“, meint Heidrich. Er betrachtet die Bewegung als gesellschaftliches Korrektiv: Punker probierten alternative Lebensformen aus und verweigerten sich dem „Konsumterror“.

Der Film ist noch nicht ganz fertig. Heidrich hofft, dass er im Februar so weit ist. Dann will er sein Werk im Café Exzess an der Leipziger Straße und im Offenen Kanal Offenbach zeigen. Er beschreibt es als „Dokumentation von der Szene für die Szene“.






















1 Kommentar:

  1. Vielseitiges Programm. Die historischen Projekte gehen vom Stadtteil aus - und darüberhinaus.

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