Abi - Plakate als Spiegelbilder des Wandels...

 Bildung braucht Ermutigung. In dem Sinne machen Abitur-Plakate inzwischen Schule und entwickeln sich zu einem neuen Brauch. An der Wöhlerschule – und anderswo, vornehmlich in Hessen. Per Plakat spornen Eltern - auch Mitschüler oder Freundinnen - die Schülerinnen und Schüler an, und damit wird die Abiturprüfung nicht selten zum expliziten Familienprojekt. - Das Projekt "Abi-Plakate als Spiegelbilder des Wandels..." untersuchte, wann und wie diese Plakataktionen entstanden sind und welche Aussagen und Motive diese Plakate prägen.

Die Darstellung stützt sich auf Berichte und Fotos der Protagonisten der gesamten Schulgemeinde; als weitere Quelle dienten Abitur- und Schuljahrbücher, erweitert um Literatur- und Internet-Material.

von Martin Berthoud und Stefan Jakob

Von der Straße an den Zaun

Nach den bisherigen Recherchen können „Gehweg-Graffiti“ mit Grüßen und Wünschen zu den Abi-Prüfungen als Vorläufer der Abi-Plakate gelten. Nach Berichten ehemaliger Schülerinnen und Schülern hat eine Schülerin des Bettina-Gymnasiums in der Nacht vor der ersten Abiturprüfung 1990 ein rasantes Graffiti auf die Platten des Eingangs zum Wöhler Gymnasium gesprüht, um ihrem ehemaligen Freund in jeder Hinsicht viel Erfolg zu wünschen. Graffitis und Plakate zum Abitur beginnen somit im Jahr 1990, wenn auch bislang die Beteiligten noch nicht genauer identifiziert und direkte Verbindungslinien zu Straßenmalereien und Abi-Plakaten in den folgenden 90er Jahren nicht einzeln belegt sind. Zu den anstehenden Prüfungen wünschten die „VorgängerInnen“ in dieser Zeit dem aktuellen Abi-Jahrgang alles Gute (z.B.: „Abi 95 grüßt Abi 96“). Die Aktion wurde von den Klassenverbänden getragen. Erst daneben entwickelten sich nach und nach Grüße und gute Wünsche an einzelne, persönlich angesprochene SchülerInnen, organisiert in erster Linie von Freundes/innen-Gruppen.

Diese individuellen Wünsche nahmen dann zu. Sie sagten nach Berichten Beteiligter auch etwas aus über Gruppen-Hierarchien und das Standing einzelner SchülerInnen in Jahrgang und Schule. Nicht jede/r Schüler/in bekam über den Gruß vom vorhergehenden Abi-Jahrgang hinaus einen eigenen Abi-Gruß. Bei den Plakaten handelte es sich um einfache „Handarbeiten“: wie in politischen Zusammenhängen wurden Tapeten oder Bettlaken bemalt; Texte dominierten, gelegentlich mit „Glückssymbolen“ (Kleeblätter z.B.) verziert.

Fortsetzung folgt...

Folge 2

1998: 68 ff. als Vorbild

Das Abitur 1998 stand unter dem Motto „Woodstock und 68er“ und markierte den Höhepunkt dieser ersten Phase. Auf dem Transparent über dem Haupteingang stand ein bekannter Spruch von Monty Python: „Always look on the bright side of life“. Den Film gleichen Titels hatte zuvor ein politisch engagierter Religionslehrer wiederholt im Unterricht gezeigt und thematisiert. Filmaufnahmen zeigen die ausgelassene Stimmung nach den Prüfungen, die Abiturfeier und den Abi-Ball. Eine liberale, diskursive Schulatmosphäre ist dabei zu spüren; die Schulleitung legte Wert auf ein „gutes Klima“ (Martin Hilgenfeld & Norbert Rehner, Schulleiter), was auch für den Umgang mit Regelverstößen bei Plakat- und Malaktionen galt. Die zunehmende Zahl von Abi-Plakaten erforderte Regelungen im Interesse der Chancengleichheit und so wurden der Start-Zeitpunkt des Aushängens sowie die Größe der Plakate von der Schule festgelegt.

Professionalisierung

Seit Anfang der 2000er Jahre beteiligen sich zunehmend Eltern mit Plakaten, organisiert zumeist von den Müttern. Wenn etwa über hundert Plakate das Hauptgebäude umsäumten, konnte der Schulleiter ab 2003 seine Schule manchmal nicht wiedererkennen. Praktisch bekam jeder ein Plakat oder wird auf einem Plakat einbezogen, wenn die Eltern kein Plakat fertigten und/oder der Betreffende keines wollte. Absender der Abi-Plakate sind überwiegend Eltern und Familie - ausgewiesen durch Plakat-Unterschriften, neuerdings auch durch Fotos. Familie als Rückhalt wird bildhaft deutlich, das Abitur noch expliziter zum Familien-Projekt.

Auffällig: in Bildern, Figuren und Texten wird häufig der Migrations-Hintergrund der Absender aufgegriffen. Einzelne AbiturientenInnen erhalten über Familien-Plakate hinaus weitere von FreundenInnen. Fertigung und Gestaltung der Abi-Plakate durchlaufen in den vergangenen gut 20 Jahren einen rasanten Professionalisierungsprozess von der handbemalten Tapete zum professionell gestalteten und gedruckten Plakat / Banner. Reine Text-Plakate werden zu (foto-)grafisch gestalten Bannern. Computerprogramme und Digitaldruck bilden die technische Basis dieser Herstellungsformen, die auch auf vorgefertigte, im Projekt nicht eigens betrachtete Plakatvorlagen zurückgreifen.


Folgt in Kürze 3. Folge
Hier noch der Start-Beitrag.


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