Für Anteilnahme, für Ermunterung stehen die Abitur-Plakate unserer Tage mit zumeist positiven, gelegentlich auch negativen Facetten. Ein Vergleich mit früheren Zeiten hilft, Abi-Plakate als Teil der Wahrnehmung von und Erinnerung an Schule besser einzuordnen. Deshalb haben wir den Germanisten u. Literaturkenner Klaus Robering ("Die deutschen Verben des Sehens" u.v.m.) gebeten, erhellende "Abitur"-Fälle aus Geschichte und Literatur vorzustellen. In der zweiten Folge geht es u.a. um zwei Außenseiter - Zoologe der eine und der andere berühmter Schriftsteller und Wöhlerschüler.
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Nicht nur die Erfahrung schulischen Leids, wenn auch gehörig abgemildert, wird so mancher Leser des Augustinustextes wiedererkennen, auch die von Augustinus geschilderte Reaktion der „Erwachsenen“ ist nur all zu bekannt: die finden das Ganze natürlich gut und in Ordnung! Schließlich diene das der Vorbereitung auf ein Leben in „Plage und Trübsal“; sie selbst haben ja auch „wie schon viele vor uns“ dasselbe durchmachen müssenNicht nur die Erfahrung schulischen Leids, wenn auch gehörig abgemildert, wird so mancher Leser des Augustinustextes wiedererkennen, auch die von Augustinus geschilderte Reaktion der „Erwachsenen“ ist nur all zu bekannt: die finden das Ganze natürlich gut und in Ordnung! Schließlich diene das der Vorbereitung auf ein Leben in „Plage und Trübsal“; sie selbst haben ja auch „wie schon viele vor uns“ dasselbe durchmachen müssen und das sei schließlich das Los der „Kinder Adams“. Dieser hat sich vermutlich durch das Naschen vom Baume der Erkenntnis den harten Schulbesuch ersparen wollen.
Oft setzen die Erwachsenen/Alten „noch einen darauf“: Wir haben nicht nur dasselbe durchgestanden, uns ging es noch viel schlechter, weil die Anforderungen, die an uns gestellt worden sind, damals viel höher waren. Bekanntlich war das Abitur früher ebenso viel anspruchsvoller und schwieriger als heutzutage wie der Vorkriegsschnee weißer war. und das sei schließlich das Los der „Kinder Adams“. Dieser hat sich vermutlich durch das Naschen vom Baume der Erkenntnis den harten Schulbesuch ersparen wollen.
Oft setzen die Erwachsenen/Alten „noch einen darauf“: Wir haben nicht nur dasselbe durchgestanden, uns ging es noch viel schlechter, weil die Anforderungen, die an uns gestellt worden sind, damals viel höher waren. Bekanntlich war das Abitur früher ebenso viel anspruchsvoller und schwieriger als heutzutage wie der Vorkriegsschnee weißer war.
Diese These ließe sich natürlich nur in einer gründlichen historisch-vergleichenden Studie überprüfen. Material hierzu findet sich in Rainer Böllings Buch Kleine Geschichte des Abiturs (Paderborn: Schoeningh 2010); s. auch Böllings Aufsatz über Das Abitur im Wandel im Netz.e Ein von Bölling angeführtes imponierendes Beispiel für vormaliges Anspruchsniveau ist das Abitur von Karl Marx. Der junge Marx hatte 1835 sieben (!) Klausuren zu schreiben: einen deutschen und einen lateinischen Aufsatz, sowie einen Aufsatz über ein mathematisches Thema (je 5 Studen); Übersetzungen aus dem Lateinischen, Französischen und Griechischen (3- bzw. 2-stündig) und, aufgrund einer Sonderregelung für die preussische Rheinprovinz, einen 5-stündigen Religionsaufsatz. Die mündliche Prüfung – in den beiden klassischen Sprachen sowie in Französisch, Geschichte, Religion, Mathematik und Naturwissenschaften – folgte einen Monat später, wobei noch die eigentlich vorgeschriebenen Prüfungen in Deutsch, philosophischer Propädeutik und Naturbeschreibung aus verschiedenen Gründen nicht stattfinden konnten. Marxens lateinischer Abituraufsatz über die Frage, ob die Herrschaft des Augustus verdientermassen zu den glücklicheren Zeiten des römischen Staatswesens zu zählen sei („An principatus Augusti merito inter feliciores rei publicae Romanae aetates numeretur?“), ist übrigens im Netz einsehbar einsehbar.
Marx hat sein Abitur bestanden.
Klaus Robering
FOLGE 2: "Unkraut" kommt
nach Oberprima
Abitur in Wechselfällen - Lehrer Unrat und Lehrer Feinsinn
Kurz vor dem Abitur den Ort und damit auch die Schule zu wechseln, ist mit Risiken verbunden, muss der Neue doch schnell den dortigen Regeln und Anforderungen genügen. Vor genau hundert Jahren wechselte Elias Canetti, mit Familie aus Zürich kommend, nach Frankfurt und machte an der Wöhlerschule sein Abitur.
Den wiederholten Schauplatz-Wechsel empfand der 17Jährige übrigens als anregend, nicht als bedrohlich. Die vom verlorenen Weltkrieg „gestempelten“ Lehrer schilderte Canetti in seinen Erinnerungen mit kritischem Blick, etwas einfühlsamer dagegen die Gäste der Pension Charlotte (realiter Bettina, heute Hotel Palmenhof, Bockenheimer Landstr. 89). Diese verkörperten die heftigen politisch-gesellschaftlichen Gegensätze nach dem verlorenen 1. Weltkrieg: Dem unabhängigen Kriegsversehrten und Kriegshasser etwa stand der „kaiserkranke“ höchst deutschnationalen jüdischen Bankprokurist gegenüber. Canetti zeichnete in knappen Porträts ein kleines Abbild der bedrohten Welt der Weimarer Republik, die hier versammelt war. Darunter eben auch die Mutter mit drei Jungens in den Zimmern 17 und 18.
Zu seiner eigentlichen Reifeprüfung gehörte unbedingt der Deutschlehrer Gerber, „dem ich etwas
danke“, schrieb Canetti in seinen
Erinnerungen (Die Fackel im Ohr ) und
später wird von zwei Zeugnissen zu berichten sein. Doch zuvor – schön
chronologisch - ist der Schulweg eines
berühmten Zoologen zu schildern, der kein Zeugnis vorweisen konnte – zunächst
jedenfalls.
Unkraut ab nach Oberprima
(Fortsetzung Seite 1)
Der Zoologe Alexander Koenig (1858-1940) liefert in den Erinnerungen eines alten Burgsteinfurter Schülers aus seiner sechsjährigen Gymnasialzeit (Bonn 1933) eine interessante und amüsante Schilderung eines „fehlgeschlagenen Abiturs.“ Wie Marx rund 45 vor ihm und, da die Preussen nach dem Deutschen Krieg die Freie Stadt Frankfurt 1866 annektiert hatten, Canetti rund 46 Jahre nach ihm, so musste sich auch Koenig durch das preussische System kämpfen. (Der Deutsche Krieg von 1866 wurde, wie wir übrigens gleich erfahren werden, für Koenig 1880 als mündliches Abiturthema als „zu neu“ abgelehnt, was mit zu seinem Scheitern beitrug.) Koenig, der Sohn eines reichen Zuckerfabrikanten, ist der Gründer des nach ihm benannten zoologischen Museums in Bonn (das heutige ZFMK: Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig), in dem am 1. September 1948 der Deutsche Bundestag seine Eröffnungssitzung abhielt.
Alexander Koenig. Dank dem ZFMK |
Vermutlich wegen Schulschwierigkeiten wechselte Koenig 1874 vom Bonner Königlichen Gymnasium (dem heutigen Beethoven-Gymnasium) auf das Gymnasium Arnoldinum in Burgsteinfurt, wo er in der Obertertia (9. Klasse) bereits auf zwei „Bonner Schulfreunde“ traf, die wohl aus ähnlichen
Gründen in Burgsteinfurt gelandet waren. Koenig beschreibt ironisch-humorvoll eine Reihe typischer Erfahrungen des Schulalltags, die jedem, der eine Gymnasiallaufbahn hinter sich gebracht hat, sehr vertraut vorkommen werden: so z. B. die, das plötzliche Leistungssteigerungen verdächtig sind. „Ganz besonders nahm mich im Griechischen Heuermann aufs Korn, und da ich für meine Verhältnisse ein unglaublich gutes Clausur-Extemporale (eine unangekündigte Klassenarbeit) geschrieben hatte, lud mich dieser ‚liebe‘ Mann zu sich ins Haus ein, um unter seinen Augen ein Extemporale zu schreiben. Das war sehr bitter für mich, denn über den Ausgang brauchte ich nicht im Zweifel zu sein.“
Latein ist auch nicht unterhaltsamer als Griechisch: „Einst in einer
Nachmittagsstunde im Horaz kam die Anwandlung der Schwäche über mich: ich
gähnte. Gekränkt über dieses Verhalten wies mich Rohdewald aus der Klasse, um
mich bald darauf wieder hereinzuholen.“ Besonders bemerkenswert ist noch das
folgende frühe Beispiel für die für einen Zoologen unentbehrliche Kunst,
getarnt scheue Tiere zu beobachten: ihm gelingt es tatsächlich vom
„Naturalien-Kabinett“ (!) aus die im benachbarten Zimmer stattfindende
Lehrerkonferenz zu belauschen, in der es um die Versetzung nach Oberprima geht.
Dabei wird er Zeuge eines pädagogisch-resignativen Entgegenkommens auf eine
Gruppe schlechterer Schüler, zu der er auch selbst gehört. Oberlehrer Schütz
empfiehlt: „Na, was sollen wir mit dem Unkraut (sic!) noch auf Unter-Prima,
versetzen wir sie nur nach Ober-Prima.“ Die „Unkrautpflanze“ im
Naturalien-Kabinett freut sich natürlich: „… ich hätte Schütz umarmen können.“
Für Elias Canetti sind so dramatischen Wendungen in der Schullaufbahn nicht zu vermelden, dafür waren die politischen Zeiten umso desaströser: eine junge Demokratie, die unter den Lasten und Folgen der verlorene Weltkrieg des Kaiserreichs ächzte und der es an Demokraten mangelte. Canetti war gerade Wöhler-Schüler geworden, als ein anderer Wöhlerschüler einem Attentat eines rechtsradikalen Freischärlers 1922 zum Opfer fiel: Walther Rathenau, der damalige Außenminister.
Das Abitur hat Canetti hat in seiner Lebensgeschichte
„Fackeln im Ohr“ nicht einmal erwähnt, aber seine Begegnungen mit dem
Deutschlehrer Gerber zeugen von Abitur würdigen literarischen und sprachlichen
Kenntnissen. Und als der Deutschlehrer Gerber ihm sogar die Lehrerbibliothek
aufschloss, hat Canetti gewissermaßen die entscheidende Prüfung bestanden, so
sind seine Erinnerungen wohl zu verstehen. Gerber war bei der Lektüre
zahlreicher Klassiker mit wechselnden Rollen dann sichtlich enttäuscht, als
Canetti Arzt und nicht etwa Schriftsteller als Berufsziel angab. „Seither
erwähnte er (Gerber) unauffällig“, schreibt Canetti in seinen Erinnerungen,
„und in irgendeinem Zusammenhang des öfteren schreibende Ärzte.“ Gerber ließ
nicht locker – und behielt auf grandiose Weise recht. Kenntnisreich und
feinsinnig, hellsichtig und nachhaltig, aber keineswegs besserwisserisch – so beschreibt Canetti seinen Wöhler-Lehrer
und stellt ihm seinerseits ein exzellentes Zeugnis aus – und begann selber ein
Studium der Chemie in Wien. Gerber,
gemäß den damaligen Verhältnissen wohl mehr ein klassischer Lehrer als der
heutige „Lernbegleiter“, besaß pädagogisches Geschick und: trotzdem einen
klaren Blick für das Potenzial seines Schülers. Dass er sogar 1981 eine Art
internationaler Reifeprüfung bestand und mit Literaturpreis ausgezeichnet
wurde, hat der Deutschlehrer Gerber vom Wöhler vermutlich nicht miterlebt.
Abitur - zwischen Himmel und Hölle (1)
Jeder erinnert sich an seine Schulzeit; doch sind diese Erinnerungen keineswegs immer positiv und ich vermute sogar, dass unter den biographischen Berichten über diesen Lebensabschnitt und in dessen literarischen Verarbeitungen die negativ-kritischen Darstellungen überwiegen. Einer der Gründe dafür mag sein, dass die „Hölle“ ein weitaus interessanteres Thema als der „Himmel“ ist.
Nicht nur die Erfahrung schulischen Leids, wenn auch gehörig abgemildert, wird so mancher Leser des Augustinustextes wiedererkennen, auch die von Augustinus geschilderte Reaktion der „Erwachsenen“ ist nur all zu bekannt: die finden das Ganze natürlich gut und in Ordnung! Schließlich diene das der Vorbereitung auf ein Leben in „Plage und Trübsal“; sie selbst haben ja auch „wie schon viele vor uns“ dasselbe durchmachen müssen („Wer nicht geschunden wird, wird nicht erzogen“; s.u. den vorletzten Absatz) und das sei schließlich das Los der „Kinder Adams“. Dieser hat sich vermutlich durch das Naschen vom Baume der Erkenntnis den harten Schulbesuch ersparen wollen. Oft setzen die Erwachsenen/Alten „noch einen darauf“: Wir haben nicht nur dasselbe durchgestanden, uns ging es noch viel schlechter, weil die Anforderungen, die an uns gestellt worden sind, damals viel höher waren. Bekanntlich war das Abitur früher ebenso viel anspruchsvoller und schwieriger als heutzutage wie der Vorkriegsschnee weißer war.
Diese These ließe sich natürlich nur in einer gründlichen
historisch-vergleichenden Studie überprüfen. Material hierzu findet sich in
Rainer Böllings Buch Kleine Geschichte des Abiturs (Paderborn:
Schoeningh 2010); s. auch Böllings Aufsatz über Das Abitur im Wandel im Netz. Ein von Bölling
angeführtes imponierendes Beispiel für vormaliges Anspruchsniveau ist das
Abitur von Karl Marx. Der junge Marx hatte 1835 sieben (!) Klausuren zu
schreiben: einen deutschen und einen lateinischen Aufsatz, sowie einen Aufsatz
über ein mathematisches Thema (je 5 Studen); Übersetzungen aus dem
Lateinischen, Französischen und Griechischen (3- bzw. 2-stündig) und, aufgrund
einer Sonderregelung für die preussische Rheinprovinz, einen 5-stündigen
Religionsaufsatz. Die mündliche Prüfung – in den beiden klassischen Sprachen
sowie in Französisch, Geschichte, Religion, Mathematik und Naturwissenschaften
– folgte einen Monat später, wobei noch die eigentlich vorgeschriebenen
Prüfungen in Deutsch, philosophischer Propädeutik und Naturbeschreibung aus verschiedenen
Gründen nicht stattfinden konnten. Marxens
lateinischer Abituraufsatz über die Frage, ob die Herrschaft des
Augustus verdientermassen zu den glücklicheren Zeiten des römischen
Staatswesens zu zählen sei („An principatus Augusti merito inter feliciores rei
publicae Romanae aetates numeretur?“), ist übrigens im Netz einsehbar einsehbar.
Marx hat sein Abitur bestanden.
Klaus Robering
FOLGE 2: "Unkraut" kommt
nach Oberprima
Wahrscheinlich hat Elias Canetti doch den Namen des Lehrers, der in ihm schon das Talent zum Schriftsteller erkannte, geändert oder ist in den Schulannalen aus den 20ziger Jahren ein Deutschlehrer Gerber verzeichnet? - Joachim
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